Sagres gleicht ein wenig einer Wildweststadt, hier Neubauten, dort leerstehende Gebäude in verschiedenen Stadien des Verfalls, freie Flächen mit Gestrüpp. Darunter liegt rote Erde, deren Anblick mir das Gefühl gibt, nicht mehr in Europa zu sein. Es stimmt beinahe. Sagres ist ein Anhängsel am Südwestrand des Kontinents. Und immer weht der Wind darüber.
Die alte Grundschule mit ihren zwei Eingängen für Jungen und Mädchen war vor wenigen Jahren noch in Betrieb. Jetzt müssen die Schulkinder mit dem Bus nach Vila do Bispo fahren, und das Schulgebäude wurde umgewidmet. Es ist ein Club darin: Clube Recreativo Infante de Sagres. Nur noch ältere Herren gehen durch den ehemaligen Jungeneingang, um drinnen Bier zu trinken, Tremoços zu knabbern und Fußball im Fernsehen anzugucken. Wie ist das wohl für diese Herren, in der Grundschule, die sie alle einmal besucht haben, zu sitzen und zu trinken? Besser noch, sich vorzustellen, was die kleinen Josés und Manels vor sechzig Jahren gesagt hätten zu der Idee, ihre Schule würde einmal zu ihrer Stammkneipe werden.
Ich musste unweigerlich an den kleinen Nick denken, der jetzt etwa so alt wäre wie die trinkenden Herren und gemeinsam mit meinem Sohn ordnete ich jedem von ihnen den passenden Charakter zu. Der dicke Wirt war natürlich Otto, der mit dem Polohemd und den schicken Schuhen Georg mit dem reichen Vater, und der Magere vor dem Fernseher Max mit den großen, dreckigen Knien…
Der kleine Nick ist inzwischen aus einigen Schulbüchereien verbannt worden, unter anderem, weil Adalbert, dem Klassenbesten, darin so übel mitgespielt wird. Also ist es wahrscheinlich politisch nicht korrekt, diese Geschichten zu mögen. So wenig, wie mit dem Flugzeug in die Ferien zu fliegen. Ich bekenne mich schuldig. Wir leben in sehr moralischen Zeiten – nur für die kleinen Fische allerdings, die sich vermutlich noch schämen werden, wenn sie den Großen nicht gut schmecken.
Zurück nach Sagres: Ich war vor über zwanzig Jahren schon dort, und habe, fasziniert von einigen der verlassenen Gebäude, einen Krimi geschrieben, der dort spielt. Er liegt bis heute in meiner Schreibtischschublade. Andere Dinge in meinem Leben haben dafür gesorgt, dass ich ihn niemals losschickte und bald vergaß. Vergaß, bis ich vom Erfolg jener Fuzeta-Krimis hörte. Da dachte ich, MANN, BIST DU BLÖDE. So wird man niemals reich…
Stattdessen habe ich gerade etwas ganz Unkommerzielles veröffentlicht. In Lübeck gibt es, was ich wunderbar finde, die Erich-Mühsam-Gesellschaft. In den neuen Mitteilungen der Erich-Mühsam-Gesellschaft steht ein Essay von mir: Woher der Mut? ist der Titel. Man kann ihn gar nicht kaufen. Nur von der Erich-Mühsam-Gesellschaft bekommen, wenn man freundlich danach fragt. Was ich sehr empfehle, denn Erich Mühsam ist für mich ein echter Held.