Ob der autoritäre Geist nur in den Dingen schläft und jederzeit bereit ist wieder zu erwachen? Ich fürchte, ja. Er ist vermutlich schon dabei, beseelt diverse Regierungspersönlichkeiten der westlichen und östlichen Welt und mit ihnen diejenigen, die sie wählen.
Wenn man keine Regierungen stürzen kann, dann wenigstens Statuen. Deren Sturz gilt allerdings als Sachbeschädigung. Eine Straftat, die hierzulande beinahe so schwerwiegend ist wie Terror. Es bleiben die bescheidenen Waffen Stift und Pinsel. Die sind bisher nicht verboten.
„Bismarck Antiautoritär“ heißt eine Serie von zeichnerischen Verwandlungen des blutigen und eisernen Kanzlers, die noch bis zum 1. April (kein Scherz) 2024 in der Zitadelle Spandau zu sehen ist, neben den Werken mehrerer spannender Künstler, in der Ausstellung „Bismarckstreit“.
Der Titel ist Antithese zum Gehorsamskult, den preußischen Tugenden wie Fleiß, Ordnung und Pflichtbewusstsein, die zugleich für eine Form der Erziehung stehen, die einen bestimmten Untertanentypus hervorgebracht hat. Bismarck als Ikone des Preußentums bietet sich an, mit der gebotenen Respektlosigkeit umgewidmet zu werden – für eine Erziehung zum Ungehorsam.
Damit der Untertanengeist nicht solche Blüten treibt, wie von Bismarcks Sekretär Christoph von Tiedemann überliefert – er und Professor von Sybel, beide Bismarcks Untergebene, bewundern den Nachttopf ihres Chefs:
„Als wir uns an die Wand stellen, sagt Sybel so recht aus tiefstem Herzen: ‘Es ist doch alles groß an dem Mann, selbst die Scheiße!’“
Dass große Künstler große Schweine sein können, ist bekannt. In vielen Fällen hindert es ihren Ruhm nicht (man denke an Picasso oder Thomas Mann). Manchmal aber doch. So bei Hans Henny Jahnn.
Über Hans Henny Jahnn hielt ich den allerersten literarischen Vortrag meines Lebens. Ich war achtzehn, und meine Schule feierte ihr 250-jähriges Jubiläum. Als ich der Zuhörerschaft von Jahnns schockierenden Vorlieben für Knaben und Pferde (nicht unbedingt in dieser Reihenfolge) referierte, dachten die empörten Eltern aus den Elbvororten, ich hätte mir das ausgedacht – pour épater le bourgeois, natürlich. Es gab Murren und Zwischenrufe im Publikum. Die Empörung richtete sich allerdings nicht gegen den polysexuellen Literaten, sondern gegen die unschuldige Schülerin. Dabei war ich in einem Alter, in dem es völlig okay war, Knaben und Pferde zu mögen.
Der Fairness halber muss ich erwähnen, dass ich auch eine positive Rückmeldung bekam. Ein Lehrer sprach mich einige Wochen später in der Pause an und sagte: „Ihr Kurzvortrag über Kurt Tucholsky wird mir immer in Erinnerung bleiben.“
Der arme Tucholsky. Er konnte sich nicht mehr wehren.
Demnächst setze ich mich, mit viel zeitlichem Abstand, noch einmal für Hans Henny Jahnns Nachruhm ein. Ich werde versuchen, seine guten Seiten ins Licht zu stellen. Der Mann war nicht nur während der Nazizeit im Exil, sondern auch schon im ersten Weltkrieg. Er stellte sich vehement gegen Atomkraft und Wiederbewaffnung. Und er konnte, so abstoßend manche seiner Inhalte sind: Schreiben.
Christine Sterly-Paulsen