Vor 50 Jahren, am 25. April 1974, fiel auf romantische Art eine der letzten Diktaturen Europas. Portugal besiegte den Salazarismus, mittlerweile präsentiert von Salazars Nachfolger Caetano, nicht mit Kugeln, sondern mit Blumen.
Eine Freundin, die mich lange kennt, bat mich kürzlich, mein nächstes Buch möge eine Utopie sein, der Entwurf einer friedlichen, von alten Traumata befreiten Gesellschaft, und sie schickte mir ziemlich präzise Wünsche. Warum, mag man sich fragen, schreibt sie nicht selbst – wo sie doch weiß, wo sie hinauswill?
Sie hat ihre Gründe, und die hängen mit meinen beiden letzten Büchern zusammen. „Gegenliebe“ ist der dystopische Roman einer zutiefst entfremdeten Gesellschaft. Im März 2020 schickte ich den Text an die Kulturmaschinen. Wenige Tage darauf begann der erste Corona-Lockdown. 2021, als das Buch erschien, war die Dystopie in vollem Gange, mit Kontakt- und Ausgangssperren, Kontrollen an den Eingängen von Geschäften und vor allem der schauderhaften Erkenntnis, wie zerbrechlich der zivile menschliche Umgang ist, der unsere Gesellschaft zusammenhält.
Im Oktober 2023 folgte „Abrechnung in Sagres“, ein Portugalkrimi, in dem alte faschistische Seilschaften ihre unheilvolle Rolle spielen, und an dessen Ende einer der Täter mit der Wiederkehr des überwunden Geglaubten droht.
„Wie viele seid ihr?“, fragte Rui Gonçalo.
„Das weiß niemand. Deshalb kann man uns auch nicht eliminieren. Es wird vielleicht dauern, aber irgendwann kommen wir wieder raus. Sieh zu, dass ich dann ein gutes Wort über dich sagen kann.“
Als Portugal, knapp vor dem fünfzigjährigen Jubiläum der Nelkenrevolution, kürzlich wählte, habe ich mir endgültig meinen Kassandra-Ruf bei oben erwähnter Freundin erworben. Denn Portugal, das bis dahin mit einer absoluten Mehrheit moderat links regiert wurde, und als beinahe letztes europäisches Land immun gegen den Reiz des Faschismus 2.0 schien, wählte mit einem Mal sehr weit rechts.
Kann man den 25. April jetzt mit guten Gefühlen feiern? Irgendetwas steckt einem dabei im Hals. Die Desillusion vermutlich. Der Glaube, dass es möglich sei, die Dinge zu verändern, sie nicht so hinzunehmen, wie sie unausweichlich zu sein scheinen – hat den noch jemand?
Ich befürchte, dass ich die bessere Welt, von der Portugal nach dem 25. April träumte, nicht herbeischreiben kann. Utopie zu denken, wird nicht einfacher, je ohnmächtiger sich die oder der Einzelne fühlt, den neuen autoritären Imperativen gegenüber. Aber man sollte sich daran erinnern, dass eine Diktatur sehr lange dauern kann, wenn sie einmal da ist, und es gefährlich ist, schon vorher zu resignieren.
Christine Sterly-Paulsen
„Gutschein für die Front“ von Bettina Rosenthal