Es erinnert hier ein wenig beim Lesen an den Duktus englischer Reiseromane, oder Maigretkrimis des Belgiers Georges Simenon. Doch dieses Narrativ spielt in Portugal und wurde auf Deutsch aus weiblicher Sicht geschrieben. Die Autorin beschreibt als Ich-Erzählerin die Geschichte einer deutschen verheirateten Anwältin, die in einer Erbschaftsangelegenheit für ihre Klienten nach Sagres reist. Sie bleibt dort eine gewisse Zeit, um sich um ein geerbtes Grundstück samt Haus zu kümmern, das noch bewohnt ist. Das Anwesen und die Leute dort erscheinen ziemlich verwahrlost. Gida, so die portugiesische Koseform von Margarete, taucht über ihre Vermieterin und zwei Freunde aus der Studienzeit langsam ein in die iberischen Lebenswelten – in die Armut und die herbe Schönheit der Landschaft – ja, sie gerät förmlich in die unerzählte(n) Geschichte(n) ihres Domizils auf Zeit hinein. Es ist eine Vergangenheit, die nicht vergehen will und auf die Ära von vor der Nelkenrevolution von 1974 zurückgeht. Plötzlich geschieht ein Mord an einem ominösen und ewig gestrigen Deutschen, der in seinem Auto haust und des Nachts an einer Landzunge getötet wird. Was aber steckt dahinter? Wer waren die Täter und Hintermänner? Welche verborgenen Wahrheiten lauern in der Historie des Ortes Sagres, in dunklen Kellern und dem kollektiven Bewusstsein der Menschen dort? Welche persönlichen Verbindungen gibt es da heute zu entdecken?

Zusammen mit dem Kommissar Rui Gonçalo vor Ort ermittelt die scharf kombinierende Gida plötzlich unfreiwillig in einem Mordfall, während sie zugleich das Haus für ihre Auftraggeber durch attraktive finanzielle Angebote von den lästigen Mietern freikriegen will. Auch Gida wird bedroht, eine Katze stirbt und es geschieht schließlich ein weiterer Mord. Alles scheint hier mit allem verbunden und die Vergangenheit der Salazarzeit samt der Obristenjunta taucht aus dem Untergrund wieder auf.

Die Protagonistin bekocht sich selbst mit Fischsuppe oder wird auch mal eingeladen. Wein und Bier und lukullische Genüsse aus dem Reiche Neptuns im Lokalkolorit von Gastronomie, verlassenen Industriebrachen an den Küsten der Südspitze Portugals um Sagres, Lagos und Faro, spielen hier eine große Rolle. Es ist ein Gesellschaftsporträt mit wunderschönen Reisebeschreibungen, eine mega-spannend erzählte Geschichte mit romantischen Episoden, dem Wechsel der Geschlechter eines glücklosen alten Sängers in der Jugend und abgetauchten, faschistischen Großgrundbesitzern, die anhand von Fotos eines Chronisten und durch Erzählungen von ehemaligen Dienstmädchen aus dem Nebel der Geschichte auftauchen, lebendig werden. Somit legt der Text aus der Zeit vor der Jahrtausendwende, um 1999 spielt der Plot, alte Strukturen und verborgene Seilschaften offen.

„Je weiter die Touristensaison ihrem Ende zuging, desto mehr verdrängte der alte Ort den neuen. Während viele der modernen Restaurants und Bars eine geisterhafte Erscheinung annahmen, schien die Vergangenheit an Vitalität zu gewinnen. Personen, Gebäude, Plätze, die den Sommer hindurch unsichtbar gewesen waren, kehrten an die Oberfläche zurück. Wie ein versunkenes Reich, dachte ich, und schüttete in meinen Gedanken Zucker in den Kaffee, obwohl ich das nicht mochte. Ich wollte ihn nur versinken sehen. Dabei kam mir ein Gedanke. Ich ließ die halbvolle Tasse stehen und machte mich eilig auf den Weg zum Haus meiner Klienten.“ (S. 109)

Dieser stimmig konzipierte Reisekrimi kommt eben auch engagiert daher und warnt mit leiser, eindringlicher Stimme, wie ein Menetekel, vor der Renaissance des Schrecklichen in den Gesellschaften eines post- bzw. präfaschistischen Europa. Wie sagte Hannah Arendt einst: „Alles ist politisch!“ Hinter der Fassade des morbiden und scheinbar harmlosen Touristenortes liegt das Grauen. Der Bodensatz ist noch vorhanden – dort, hierzulande und anderswo in Europa und der Welt. Aktuell, packend, und erschreckend nah! Droht uns die Rückverwandlung – man denke an Ionescos ‚Rhinocéros‘ ! Wie viele werden es noch, die zu Nashörnern werden? Nicht auszudenken das und dieser Politthriller ist nicht nur für Fans der Algarve ein absolutes Must have!

Jakob Krajewsky (auf LovelyBooks)