für WCW + die Toten
Ich weiß, dass es Euch schmerzt, all die Gestrandeten
vor Eurer zu kleinen Haustür zu sehen. Darum will ich
wenigstens vorschlagen, wie mit den Toten zu verfahren ist.
Zuerst natürlich der Sarg: Nehmt keine Buche
für die, die keinen Schutz gefunden haben.
Und keine stolze Eiche für die vor Angst Gebeugten.
Ihr könnt einfach die morschen Bretter ihrer zerschlagenen
Boote zusammenflicken. Und lasst Raum zwischen
den Latten, damit das Salzwasser aus den Lungen
der Ertrunkenen abfließen kann. Vielleicht bleibt ihnen
dann auch ein letzter Blick aufs gelobte Land, wenn
der Bagger die Erde in die Grube schaufelt.
Zweitens werdet Ihr Euch sorgen, wie die Fahrt
ans Grab ablaufen soll. Ach je, ich bitt’ Euch, lasst
keine grauen oder schwarzen Leichenwagen für sie
fahren, die mit dem polierten Stern, bitte nicht. Und
keine Fahrer in höflicher Uniform, mit Mütze, Handschuhen
und weißem Hemd. Fragt lieber die Müllabfuhr, dort
arbeiten einige der glücklicheren Freunde der Toten,
und ich denke, einige Grußworte vor dem Grab
sind erlaubt. Fragt bitte die Müllmänner, sie machen
eh die Arbeit, für die Ihr keine Zeit habt.
Aber das Grab! Das Grab! Ich hör Euch schon rufen.
Woher sollen wir es nehmen? Ich weiß, das Grab
ist das größte Problem, in diesem engen Land.
Darum drittens mein Rat: Legt sie zu meinem toten Vater,
ach, legt sie zu all den Toten meiner Familie, zu den
Großeltern, Onkeln, Tanten und Geschwistern.
Man findet ihre Gräber leicht. Ihr wisst doch, wir sind
die Pollacken, die nach dem Krieg kamen, für Euch
die Kohle aus der Erde zu buddeln. Mein Vater ist am Ende
an der Kohle erstickt. Aber die Flüchtlingssprache hat er
nie vergessen. So wird er sie willkommen heißen können.
Tja, ich weiß, liebe Nachbarn, ihr würdet nur zu gern
hören, was sich Eure alten Toten mit Euren neuen Toten
so unterhalten. Was die da wohl ausbaldowern?
Aber keine Chance, auch wenn Ihr noch so gerne
bei solch einem Schwätzchen lauschen würdet.
Das ist nichts für Euch.
© Peter H.E. Gogolin