Unsere Erdkundelehrerin in der sechsten Klasse hieß Meiki Segelohr. Ihren bürgerlichen Namen erinnere ich nicht mehr, ihr Gesicht dagegen sehr deutlich, weil ich den größten Teil der Erdkundestunden damit zubrachte, Karikaturen von ihr zu zeichnen. Diese Stunden waren unglaublich langweilig. Den größten Teil des Schuljahres behandelten wir Hochöfen im Ruhrgebiet. Ich weiß nicht, ob das eine Form von Sadismus war, oder ob sie die Überzeugung pflegte, es gehöre zum Weltwissen der Elfjährigen, freihand einen Hochofen konstruieren zu können.
Irgendwann entdeckte Meiki Segelohr eine meiner Zeichnungen. Danach fing ich an, im Erdkundebuch zu lesen, um mich von den Hochöfen abzulenken. Das Erdkundebuch fand Apartheid eine gute Sache, es stellte eine Stadt namens Unna Massen vor, die ich für frei erfunden hielt, und es zeigte ein Foto von einem dicken Mann, der im Toten Meer lag und eine Zeitung las.
Viele Jahre später hatte ich endlich Gelegenheit, dieses Foto nachzustellen. Da ich kein dicker Mann bin, nahm ich ersatzweise ein dickes Buch zur Hand. Es war nicht leicht, ins Tote Meer zu gelangen. Das Tote Meer trocknet langsam aus, weil dem Jordan zu viel Wasser entnommen wird. Aber das dicke Buch war die Klettertour über einen Hang voller Warnschilder wert.
Es wiegt mehr als fünfhundert Seiten, gefüllt mit den Abenteuern des Helgoländer Fischers Pay Edel Edlefsen, dessen Name ein bisschen klingt wie der seines Erfinders, und der wider Willen zum Weltumsegler wird – in Gedanken, wie Odysseus, immer bei der wartenden Liebe auf der Heimatinsel (wenn er auch, ebenfalls wie Odysseus, gelegentlich von einer Zauberin verführt wird). Diese Seiten sind so voll mit recherchierten und erfundenen Details, skurrilen Überlegungen, Versen und Bildern, spanischen, portugiesischen und friesischen Ausdrücken, dass meine Reise viel länger hätte dauern müssen, um es ganz zu lesen. Jetzt lese ich mit Fernweh weiter: “Mit Magellan” von Reimer Boy Eilers. Es stecken zwanzig Jahre Recherche darin und eine Karavellenladung Phantasie.
Auf dem Berg Sinai haben wir das erste Licht des neuen Jahres begrüßt (diesmal ohne Reimers Buch). Mit diesem Lichtbild schicke ich meine guten Wünsche an alle Lebenden, Liebenden, Lesenden und Schreibenden. Und zitiere Tucholsky, der Martje Flors zitiert:
Up dat es uns wohl go up unsre ohlen Tage – !
Christine Sterly-Paulsen