Jedes Kind auf den Philippinen kennt Limasawa. Aber keins aus dem 110-Millionen-Volk war jemals dort. Das ist nur eine ganz leichte Übertreibung. Der Ort der ersten christlichen Messe im Archipel ist abgelegen. Vor nunmehr 501 Jahren landete Don Fernando Magellan auf der kleinen Insel, missionierte unter den Bewohnern und ließ dort Ostern feiern. Der Rest ist Geschichte mit einer erstaunlichen Nachwirkung.

Limasawa liegt wie ein großer graugrüner Walfisch im blauen Meer. Der runde, bucklige Kopf zeigt nach Nordwesten, und gegen Südost teilt das lange, schmaler werdende Schwanzende die See. Die Flotte des Weltumseglers ankerte in einer Bucht im südlichen Inselteil. Dort steht heute auf der höchsten Stelle des Walfischrückens das Holzkreuz der Ostermesse von 1521. Seit langem beschäftige ich mich mit dieser Begebenheit – sie ist Teil eines Romans über Magellans epische Seereise, woran ich arbeite. Und dann – am 13. Mai 2022- erfüllte sich für mich ein Traum. Zusammen mit John Rüth von den Philippinen Tours stand ich an dem Ort, den mir meine Fantasie seit langem vorgespiegelt hatte. Wie nicht anders zu erwarten, waren wir die einzigen Besucher.

In Kenntnis der Historie strahlte das Kreuz eine wohltuend schlichte Erhabenheit aus. Nur ein schmales schwarzes Zeichen inmitten der üppigen Natur, die allerdings vom letzten Taifun Odette gezeichnet war. Ein großes Kompliment an die Filippinos, die eine ursprüngliche Umgebung beibehalten haben. Das gefürchtete Brimborium blieb aus, der zugehörige Schrein steht unten am Strand. Wir konnten für einen Moment mit einer reinen Empfindung meditieren.

Man kann das Kreuz vom Schrein aus zu Fuß erreichen – 450 Stufen. Ganz so sportlich wollten wir es nicht. Unser Transportmittel auf der Insel war das Tricycle, ein Motorrad mit Beifahrersitz Marke Eigenbau. Der Fahrer unserer Maschine höre auf den dollen Namen Leonardo Ortega, ein früherer Seemann. Er brachte uns auf der Rückfahrt zum Amy Beach Ressort. Dort setzten wir uns an einen Tisch am Strand und steckten hoch zufrieden die Füße in den weißen Sand. Nach unserm Erlebnis gönnten wir uns erstmal eine Flasche Rum. Die Meeresbrise kam von Westen. Sie zeigte uns die Richtung des Pazifiks an, aus dessen endlosen Weiten Magellan hierher gelangt war. Und der Rum ließ uns angenehm philosophieren.

Ramon, der Manager des Beach Clubs, ein wohlgenährter Mann mit einem krausen Bart, kam vorbei. Alle naslang brach er in ein herzhaftes Lachen aus. Nicht weil wir derart komische Käuze waren, sondern er war einfach gut drauf und Lachen war gesund. “Ihr seid die ersten Germans hier!”

Sag ich doch, Limasawa, abgelegen.

Es gibt noch andere Orte auf den Philippinen, die sich mit dem Namen des Weltumseglers verbinden. Sie alle sind weitaus leichter zugänglich. Mactan zum Beispiel, die Insel, auf der Magellan den Tod fand. (Darüber habe ich zum 500. Todestag am 27. April 2021 einen Bericht auf Spiegel-online verfasst, dort umkompliziert einsehbar.) Doch Limasawa hätte ich ohne den Einsatz von John Rüth und den Philippinen Tours kaum erreicht. John bahnte persönlich den Weg abseits der ausgetretenen Pfade. Prost, John, und danke dafür.

Danke heißt salama!

Unser nächstes Ziel hieß relaxen. Und zwar am White Beach von Ando im Süden von Bohol. Für die Anreise hatten wir zwei Tage eingeplant. Doch es sollte anders kommen. Um 4.30 Uhr am folgenden Morgen war Wecken im Amy Beach Ressort. Gegen 5 Uhr brachte uns Leonardo Ortega auf seinem Tricycle zur Fähre. Pünklich um 6 Uhr legte die Fähre Asuncion ab, mit dem Ziel Padre Burgos am Ende der langgestreckten Halbinsel von Southern Leyte. Das war schon mal ein tüchtiger Start und keineswegs selbstverständlich. Auf der Hinfahrt hatten wir eine spontane Terminverschiebung von 3 Stunden gehabt. Wir kletterten ins Oberdeck, wo der Kapitän auch seine Brücke hatte. Er saß vor dem Steuerrad, und sein Stuhl trug die Aufschrift “Bishop”, quer über die Rückenlehne gezogen. Der bischöfliche Kapitän war farbenfroh gekleidet in eine Wassersportjacke von O’Neil und gelb-orange Shorts von H&M. Das nennt man dann wohl laid back oder multi-kulti am Rande des Großen Wassers, sprich des Pazifiks.

Im Hafen von Padre Burgos mietete mein kundiger Begleiter kurzerhand ein komplettes Sammeltaxi für die Fahrt nach Ma’asin an der Westküste von Southern Leyte. Damit hatten wir Platz für unser Gepäck und etwas Beinfreiheit auf der Pritsche des Suzuki. Das war ein umgebauter Kleinlaster, dessen Sitzmaße eher für Hobbits gedacht waren. Andernfalls hätten wir warten müssen, bis alle 12 Plätze auf den letzten Mann oder die Frau gefüllt worden wären. Wir nahmen dann noch einige Passagiere umsonst mit, um uns als weiße Langnasen nicht ungebührlich breit zu machen.

Die Temperatur kletterte auf 30 Grad, und in der Luftfeuchtigkeit konnte man erste Schwimmzüge machen. Wir genossen den Fahrtwind. Er aß den Schweiß auf. Das Klima erforderte seine eigene Logistik. Regelmäßig trinken. Den Flüssigkeitsverlust konnte ich ausgleichen. Aber ich schaffte es nicht, alle Salze, die der Schweiß aus dem Körper wusch, vernünftig zu ersetzen. Der Extra-Schuss Sojasoße zum Reis und die fett gewürzte philippinische Wurst langten nicht immer. Nachts plagte ich mich mit Hitzekrämpfen, die wie Springteufel durch die Waden schossen. Da tat es gut, dass ich die armen Beinchen auf der Ladefläche des Suzukis ausstrecken konnte.

Bislang hatten wir noch nicht gefrühstückt, von neuen Salzen zu schweigen. Nicht einmal für eine Tasse Kaffee war Gelegenheit gewesen. Unser Motor lief auf reinem Wasser. In Ma’asin, eine Stunde später, hatte John ein nettes Hotel im Auge. Leider stellte sich heraus, dass es einen Tick zu vornehm war. Es akzeptierte keine Straßenkundschaft zum Frühstück. Unser Sammeltaxi-Minilaster kurvte uns durch die Stadt. Ein, zwei Cafés, die wir ansteuerten, öffneten erst um zehn Uhr. Schließlich fanden wir eine Garküche am Busbahnhof. Die Filippinos essen morgens schon so magenfüllend wie wir zum Mittag. Ich nahm eine Gemüsesuppe mit Fischeinlage, Spiegelei und Reis. John lobte mich, das sei sehr gesund, die Suppe. Bestimmt auch gut gegen malade Waden.

Okay, John, und dazu ein Kafeegetränk aus der Tüte. Nach so vielen wässrigen Reisestunden schmeckte sogar das Pulver.

Während ich mich klein und kleckernd mit meinem Essen abgab, zog John bereits neue Erkundigungen übers Handy ein. Seine Energie war bemerkenswert und übertrug sich irgendwie auf das wacklige Internet. Immer mal wieder spendierte es ihm eine Verbindung.

Er verspeiste ein kalt gewordenes Spiegelei. “Wollen wir den Tag in Ma’asin bleiben?”

So war der ursprüngliche Plan gewesen. Ich schüttelte den Kopf. “Muss nicht sein.”

Dann los! Die Fähre nach Bohol geht um 10 Uhr!”

Im Schweinsgalopp organisierten wir am Busbahnhof einen Mini-Van, der uns zum Fährhafen nach Bato brachte. Bato lag rund eine Stunde Fahrtzeit entfernt. Ich entspannte mich bei der ersten Klimaanlage des Tages. Am Terminal hieß es dann, die Fähre würde erst um 11 Uhr gehen. Nun okay, da hätten wir nicht zu hetzen brauchen. Die Schlange vor dem Ticket Office bewegte sich nur langsam voran. Während wir ergeben in der Sonne warteten, sprach uns ein geschäftiger Filippino an. Typ nette Hafen-Mafia.

Going to Bohol? Do you want to take a Banka?”

Die Banka war das traditionelle Auslegerboot der Inseln. Wir schauten uns an. Das Wetter war eher ruhig, kein Sturm, kein Regen. Die reguläre Fähre von Bato auf Leyte nach Ubay auf Bohol war eine Rostlaube. Es würde stickig auf ihr werden und hoffnungslos überfüllt sein. Das Gleiche in Grün wie auf der Limasawa-Passage, die wir hinter uns gebracht hatten. Wollten wir uns lieber frische Meeresluft samt einiger Spritzer Salzwasser um die Nase wehen lassen?

Wann geht die Banka?”

Jetzt gleich.”

Und wie lange dauert es?”

Eine Stunde.”

Das würde sich aushalten lassen. Egal, was uns erwartete.

Okay.”

Der Koberer übergab uns an Kapitän Dalit. Ich mochte ihn sofort. Unser Fährmann war braungebrannt und strahlte Vertrauen und die tätige Energie des professionellen Seemanns aus. Ein wacher Blick. Was mich verblüffte: Er trug bis ins Detail das gleiche Outfit wie der “Bischof” von der Limasawa-Fähre. O’Neil-Shirt und orange Shorts. Kapitän Dalit half uns über eine schwankende Planke an Bord. Mit uns fasste die Banka nun neun Passagiere, damit war sie proppevoll. Ihre Breite erreichte mittschiffs rund einen Meter, aber sie hatte ja zwei Ausleger. Als “Americanos” erhielten wir 2 der 4 besseren Plätze mittschiffs auf einem Kasten. Dummerweise war er an der Kante mit einer schmalen Leiste versehen, auf der mein linkes Bein empfindlich lagerte. Die restlichen Passagiere hockten außerhalb des Rumpfes auf einem Rost aus Bambusleisten. Gottlob war ein Verdeck über uns gespannt. Natürlich hatten wir auf die Schnelle keinen Gedanken an Sonnencreme gehabt. Das Gepäck samt der Creme hatte nun die Banka geschluckt, der Kasten unter unseren Hintern. Dank des “Sonnensegels” verbrannten wir uns auf See nur die vorwitzigen Knie.

Ach ja, und wie lange die Überfahrt tatsächlich dauerte? Um es gleich vorweg zu sagen: dreieinhalb Stunden. Unsere Frage an den netten Mann von der Hafen-Mafia war einigermaßen albern gewesen. Egal wohin, die Antwort lautet immer: 1 Stunde.

Unsere kleine Banka konnte gleich mit einem Rekord aufwarten. Sie hatte die längste Ruderpinne der Welt, ein 5 Meter langes Bambusrohr. Es war mit einem Querstock und einem Tauende sinnreich mit dem Ruderblatt verknüpft, so das ein Steuern durch einfaches Vor-und Zurückschieben des Bambus möglich war. Überhaupt war Käpt’n Dalit ein Meister der Improvisation. Alle Teile von Ruder und Motor waren mit Hilfe von Tauwerk oder Nylon-Angelschnüren sinnreich an ihren Platz gebracht. Das galt für die Benzinleitung ebenso wie für die Lenzpumpe. Ein maritimes Spinnenwerk.

Besonders faszinierte mich der “Gashebel”. Er funktionierte mit einer Angelschnur, die in unterschiedlicher Höhe an einem senkrechten Stab fixiert wurde. Auf die Weise verkürzte oder verlängerte sie sich. Und Käpt’n Dalit konnte mit sehr sensibler Hand unsere Geschwindigkeit dosieren. Mein Glaube an seine Improvisationskünste war praktisch unbegrenzt. Daher beunruhigte es mich auch nicht im geringsten, als der Motor auf halber Strecke verreckte. Vielleicht nur ein Zwischenspiel, um die Überfahrt für den Kapitän kurzweiliger zu gestalten.

Die Ruderpinne wurde von seinem Sohn bedient, einem Jungen von zirka 10 Jahren. Das Bambusrohr lag in seinem Schoß, während er mit gekreuzten Beinen auf dem Bootsrand saß. Ab und an griff der Vater korrigierend ein. Er stand im Heck auf Ausguck, dann fasste er die Pinne zwischen Großem Zeh und dem nächsten Zeh. Zack, das saß! Vermutlich hatte er ein zusätzliches Gelenk zwischen beiden Zehen entwickelt. Ein pelziger Baumbewohner im philippinischen Bambuswald hätte es mit seinen Greif-Füßen nicht treffsicherer zustande gebracht.

Eigentlich gewöhnte ich mich mit der Zeit an meinen harten Sitzplatz, obwohl die mir zustehende Fläche ständig kleiner wurde. Meine Mitsitzer besaßen die natürliche Fähigkeit sich auszubreiten, und ich war ein wenig zu höflich oder zu schüchtern. Jedenfalls vertiefte ich auf diese Weise meine Bekanntschaft mit John Rüth, wir hielten uns Rücken an Rücken eng beieinander.

Schließlich erreichten wir den Hafen von Ubay auf Bohol, und nahmen wieder ein Tricycle aus dem Hafengelände hinaus zur Überlandstraße. An der Haltestelle wurden wir erwartet. Leute, echt jetzt: Ich bin berühmt! In welchem Hafen ich auch aufschlage, da steht gewiss ein Mann mit einem Schild: Reimer Boy

In Wahrheit ist das natürlich der PR meines Travel Agents zu verdanken. Während ich auf der Überfahrt Kapitän und Boot studierte, hatte er einen diversen Mailwechsel in der Philippinensee geführt. Er hatte nicht nur einen Mini-Bus organisiert, der uns quer über die Insel zum Anda White Beach bringen würde. Außerdem hatte er die laufenden Korrekturen unserer Ankunfszeit durchgegeben. Sie beliefen sich immerhin am Ende auf plus zweieinhalb Stunden. Schließlich sollte der Fahrer auf uns warten und nicht frustriert umdrehen. Perfekt!

Nun ging es von der Nordküste in den Süden von Bohol. Jenseits der See lag dann schon Mindanao als blauer Schatten am Horizont. Im J&R Ressort genehmigten wir uns ein kühles Bier. John Rüth, mit seiner ganzen Philippinen-Erfahrung, sagte tief zufrieden: “Limasawa – Bohol an einem Tag. Das ist ein Spitzenwert. Darüber kannst du einen Blog schreiben.”

Warum nicht? Ich dachte nun eher rückwärts. In der Zivilisation von Bohol war ich emorm dankbar, auf Magellans Spuren nach Limasawa gelangt zu sein. Ohne den Buddy von den Philippinen Tours wäre das unmöglich gewesen. Salama!

Eine Woche später nahm ich wieder eine Banka, diesmal war ich allein. Ich wollte nach Pamilacan, einer winzigen Fischerinsel, dem großen Bohol vorgelagert. Da ich selber auf Helgoland groß geworden bin, zieht es mich oft auf die kleinsten Eilande. Junior, ein ehemaliger Fischer, und seine Frau betrieben auf Pamilacan ein paar einfache Unterkünfte am Strand. Es waren traditionelle Hütten aus Bambus, mit einem kräftigen Gras gedeckt, ähnlich unseren norddeutschen Reetdächern. Früher hatte Junior Delfine, Manta-Rochen und Walhaie gejagt. Das war nun verboten, und die Vermietung war eine neue Einkommensquelle.

Wir trafen uns am Pier von Baclayan auf Bohol.

Wie lange dauert die Überfahrt?”

Eine Stunde.”

Junior war aus gleichem Holz geschnitzt wie Kapitän Dalit. Ich fasste sofort Vertrauen zu ihm und überließ meine Seele der Reise mit der Banka. Die See erblühte in Schönheit und zeigte mir eben dadurch ihr zweites Gesicht. Untiefen schmückten sich in hellem Grün wie Smaragde und Türkise, königsblaue Streifen verhießen Riffe. Das liebliche Plätschern der Wellen überdeckte tückische Strömungen. Im Südwesten standen dunkle Wolken, aus denen mich ab und an das Wetterleuchten mit roten Fackeln grüßte. Ein Manta segelte auf Backbord vorbei, fast streifte er den Ausleger.

Salama!

Herzliche Grüße von den Philippinen, wo freundliche Leute wohnen und der Ketchup aus Bananen gemacht wird.


Kapitän Dalit, der mich mit seiner Banka (Ausleger-Fährboot) sicher, wenn auch nicht wirklich bequem, übers philippinische Meer beförderte. Man beachte den kleinsten Fähranleger der Welt – einen Stein am Strand.


Einsamer Höhepunkt meiner Philippinen Recherche: Magellans Kreuz auf Limasawa, wo er 1521 die Ostermesse feierte.

Fähre zur entlegenen Insel Limasawa (rechts im Bild).


Allgegenwärtiges Verkehrsmittel: Leonardo Ortega mit seinem Tricycle auf Limasawa.