Stell dir vor, es ist Krieg, und keiner protestiert.

Wir sehen zu, wie unsere neue Regierung mit der AfD schäkert und leise an der Dekonstruktion der Demokratie arbeitet, wie sie mit alten Mehrheiten das Grundgesetz ändert, um eine Kriegswirtschaft anzuwerfen. Und wo suchen wir die wahren Feinde der Demokratie? Auf dem Ostermarsch.

Ich vermute ganz naiv, dass die Mehrheit der Bevölkerung nichts von Wirtschaft versteht und deshalb keine große Lust auf Krieg hat. Da nun aber die uns regierenden Parteien Kriegstüchtigkeit, Wehrhaftigkeit und militärische Zeitenwende beschlossen haben – wie verkaufen wir es dem Wählervolk, dass es auf Sozialleistungen, Klimaschutz und den einen oder anderen Feiertag verzichten soll, um die Gelegenheit zu erhalten, in naher Zukunft unter einer Bombe zu krepieren? Bunker auf dem Mars oder Mond oder notfalls in Neuseeland kann sich ja nicht jeder leisten.

Es geht, für die Konservativen, gegen DEN Russen (Spahn) oder gegen HITLER für die Wähler von SPD und Grünen. Und wo verorten wir diesen Hitler, jetzt, wo manchem Politiker in den USA schon der rechte Arm hochrutschte? Er ist immer und überall.

Die den Krieg als Mittel für eine gesunde Nation nicht anerkennen wollen, nennen wir Lumpenpazifisten (danke, Sascha Lobo!). Klingt wie Nazisprech? Nein, denn die Lumpenpazifisten sind zugleich selbst die Nazis. Schwer nachvollziehbar? Vielleicht, doch die AfD wird uns helfen, die logische Lücke zu füllen.

Aus eben dem Kalkül, das schon seinerzeit bei Corona gut für sie aufgegangen ist, marschieren die Rechten plötzlich bei Ostermärschen auf. Hurra.

Man könnte sich fragen, was diese Typen in der Friedensbewegung zu suchen haben.

Aber warum viele Fragen stellen? Es macht die Sache nur kompliziert.

Einfacher ist es, dankbar hinzunehmen, dass ihre Anwesenheit die gesamte Friedensbewegung in einen Haufen Faschisten verwandelt. Da will keiner mehr mitlaufen. Nicht die Kirchen und Gewerkschaften, die über Jahrzehnte die Tradition der Ostermärsche geprägt haben, und die Grünen haben sich sowieso schon länger verabschiedet. Der AfD bringt es Wähler, die Kirche bekommt eine Sonderermahnung seitens der Regierung, der Konsens ist da. Alle wollen das gleiche. Einen kleinen niedlichen Krieg. Prost.

(Doch, die AfD will auch. Sie möchte nur etwas Regierungsverantwortung als Dankeschön.)

Ist der kriegerische Konsens geschaffen, kann die leiseste Kritik den, der sie äußert, verdächtig machen, ein Nazi zu sein, ein Putinfreund, Lumpenpazifist, Staatsfeind, Kommunist oder Freimaurer. Lieber den Mund halten und die alte Uniform aus dem Schrank holen.

Trotz der neofaschistischen Welle, die uns unaufhaltsam zu überrollen scheint, erinnert die aktuelle Kriegslaune eher an die Stimmung von 1914. Da war so viel mitreißender Optimismus, dass sich dem nur einige wenige Anarchisten und sonstige Außenseiter entziehen konnten, obwohl man, anders als 1939, eine abweichende Meinung halbwegs frei hätte äußern können. Eine naive Begeisterung und Siegesgewissheit, auf die ein so grausamer Krieg folgte, dass man ihn in Frankreich la der des der taufte, den letzten der letzten – ein vernünftiger Wunsch, der leider nicht in Erfüllung ging. Heute, angesichts des mehrfachen atomaren Overkills auf beiden Seiten der Front unseres neuen Kalten Krieges, wäre es an der Zeit, die Vernunft einmal aufzuwecken. Denn, wie es Goya seinen Capriccios voranstellte: Der Schlaf der Vernunft erzeugt Ungeheuer.

 

Disclaimer: Ich mag weder Putin noch Elon Musk noch Netanjahu noch die Hamas noch Friedrich Merz noch Jens Spahn noch ganz besonders die AfD.

Für diese lumpenpazifistische Propaganda allein verantwortlich:

Christine Sterly-Paulsen